Sehr geehrter Aktionär!
Am Aktienmarkt dürfte es in den kommenden Wochen schwieriger werden. In Europa notieren viele Aktienindizes bereits auf oder nahe ihrer Rekordstände, während die US-Börsen seit ihren Tiefpunkten im April kräftig gestiegen sind. Der Nasdaq 100 hat seither um 30 % zugelegt, der S&P 500 um 25 %. Diese Kursrally erfolgt jedoch vor dem Hintergrund ungelöster geopolitischer Konflikte, eines weiterhin schwelenden Zollstreits unter Trump, deutlich steigender Langfristzinsen an den Anleihemärkten und neuer Steuerpläne aus den USA.
Zudem sind die Bewertungen inzwischen relativ hoch. Der DAX weist für das laufende Jahr ein KGV von 16,4 auf, während es beim S&P 500 sogar schon bei 22,2 liegt. Auch die Entwicklung am Devisenmarkt gibt Anlass zur Sorge: Der Rückgang des Dollar-Index bei gleichzeitig steigenden US-Renditen widerspricht der eigentlich üblichen Logik, wonach Kapital in höher verzinste Märkte fließt. Dass es in diesem speziellen Fall weiterhin nicht so ist, bleibt ein nicht zu übersehendes Warnsignal für die Märkte.
Auch die konjunkturelle Lage gibt keinen Anlass für Entwarnung. Der ISM-Index für den US-Dienstleistungssektor fiel im Mai überraschend unter die Schwelle von 50 Punkten und signalisiert damit erstmals seit Ende 2022 wieder eine Schrumpfung. Gleichzeitig zogen die Preise in diesem Bereich weiter an, der entsprechende Preisindex stieg deutlich von 65,1 auf 68,7 Punkte. Das deutet auf fortgesetzten Inflationsdruck hin, obwohl das wirtschaftliche Momentum nachlässt. Das erzeugt ebenfalls ein eher negatives Momentum für den US-Aktienmarkt.
Derweil hat sich der Ölpreis zuletzt weiter erholt. Mit über 67 $ hat Brent ein Niveau erreicht, das zuletzt Ende April geherrscht hatte. Das ist allerdings nicht auf verbesserte Konjunkturaussichten zurückzuführen. Vielmehr naht in den USA die Phase mit der saisonal höchsten Nachfrage ("Driving Season"). Zudem war in den vergangenen Wochen die Anzahl der Ölbohrstellen rückläufig. Seit Februar ist bis Mai die weltweite Zahl der "Oil Rigs" von 1.741 auf 1.576 gesunken. Dieser Rückgang von 165 Ölbohrstellen ist fast vollständig auf Nordamerika zurückzuführen, wo allein 146 Bohrstellen geschlossen worden sind. Das scheint den Effekt, der von der Erwartung einer weiter steigenden Fördermenge durch die Opec+-Staaten ausgeht, zumindest aktuell überzukompensieren.
Insgesamt nimmt die Gefahr temporärer Rücksetzer an den Aktienmärkten zu. Das betrifft sowohl die USA als auch Europa. Für Anleger wird es daher wichtiger, bei der Titelauswahl selektiv vorzugehen und bevorzugt auf Unternehmen zu setzen, die nicht direkt von möglichen neuen Zollmaßnahmen betroffen wären, zumindest, solange keine Klarheit über die künftige Handelspolitik herrscht. Zwar wird hinter den Kulissen intensiv verhandelt, z. B. die Amerikaner mit den Chinesen in London, aber Ergebnisse, welche die Märkte nachhaltig beruhigen könnten, sind noch nicht in Sicht. (OK)